Politur für die zeitlose revolutionäre Eleganz

Bei einer Demonstration in Dresden im Oktober 1989 sagte eine neben mir gehende Demonstrantin in Höhe der Bezirkspolizeibehörde: „Jetzte werden sie sich bestimmt ärgern, das sie uns in Stabü und Geschichte mit der leninschen Revolutionstheorie gedrillt haben“. Ich sagte: „Jetze werden sich bestimmt noch ein paar mehr Leute ärgern, dass sie nicht aufgepasst haben“. Zwanzig Jahre später taucht das Wort „Revolution“ wieder im Sprachgebrauch auf. „Früher wär das Grund für eine Revolutioin gewesen, heute geht kein Mensch dafür auf die Straße“, sagen viele Leute regelmäßig, wenn zum Beispiel vom Elend der Hartz-Vier-Wirklichkeit die Rede ist. Die Sprache gärt, aber sie kann die Siituation noch nicht beschreiben. Vor 20 und mehr Jahren hieß es: Eine revolutionäre Situation tritt ein, wenn die herrschende Klasse nicht mehr so herrschen kann wie bisher und die Unterdrückten die Schnauze gleichfalls voll haben. Irgendwann bringt aber immer irgendwas das Fass zum Überlaufen, dann bricht entweder ein Aufstand los oder es wird demonstriert. Wenn die herrschende Klasse selber der Lehrer der Revolution ist, wie in der DDR, ist es irgendwie albern für sie, etwas gegen die Revolutionäre zu tun. Deshalb verlief die Revolution im Osten vergleichsweise friedlich. Dann kam die Wende und mit der Erfahrung Kapitalismus die Rückkehr des Wortes Revolution.
Revolutionen und revolutionäre Situationen gab es in Deutschland 1848, 1918 und 1989. In Frankreich gab es sie 1789 und 1870. 1870 war damals, als Bismarck in Deutschland zum Krieg gegen Frankreich hetzte und am Ende dafür sorgte,  dass Wilhelm von Preußen zum Kaiser gekrönt wurde – und das auch noch in Frankreich – bon. In diese Zeit hat Jutta Ditfurth die Handlung ihres Romanes „Die Himmelsstürmerin“ angesiedelt. Zur Hauptperson hat sie ihre Urgroßmutter Gertrud Elisabeth von Beust erkoren. Jutta Ditfurth ist ein schönes Buch gelungen. Sprachlich ist es wunderbar. Humor hat sie auch. So gelingen ihr Sätze von zeitloser revolutionärer Eleganz. Einige Male fühlte ich mich beim Lesen an Stefan Heym erinnert. Ich halte diese Assoziation nicht für das schlechteste Kompliment. Im Gegenteil. 1870/71 machten die Franzosen in Paris das, wovon heute nur noch brennende Autos und Mülltonnen künden, wenn „Oben“ kompletter Unsinn die Leute erst wütend macht und dann die Wut zur Entladung bringt. Sie nannten es „Pariser Kommune“  So etwas Ähnliches müßte man mal weiter denken und sozusagen von Region zu Region das Schicksal selber in die Hand nehmen: Arbeitslosigkeit, Hartz-Vier-Elend, Apathie und Fatalismus.
Jutta Ditfurth, „Die Himmelsstürmerin“, Rotbuch-Verlag, Berlin 2010,   12,95 Euro

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