Rezension: “Matthias Claudius”

Freitag, 13. Mai 2011

Rezension „Matthias Claudius“

Hannes Nagel

Denken – Schreiben – Weitergeben

Vielleicht soll man gar nicht versuchen, aus Büchern etwas zu lernen. Vielleicht soll man sie eher als Vergleichsmaß einsetzen. Vielleicht kennt alles Geschriebene die Unsicherheit, nicht zu wissen, was die Nachwelt liest, bewahrt oder als Handlungsmaxime benutzt – ob bewusst oder unbewusst.

 

Von Matthias Claudius zum Beispiel sind die Liedzeilen bewahrt: „Der Mond ist aufgegangen, die goldenen Sternlein prangen, am Himmel hell und klar …“.Annelen Kranefuss hat mit einer 320 Seiten langen Biographie bewiesen, dass Claudius erstens als Schriftsteller und Journalist etwas mehr als nur das eine Lied hinterlassen hat und das es ein interessantes Vergleichsvergnügen ist, sich mit Biographien anderer Menschen zu befassen. Umso mehr, wenn sie Berufskollegen sind. Das trifft sowohl auf die Autorin als auch auf den biographierten Herrn zu. Vielleicht sollte für Biographien Folgendes gelten: Erstens: Der Mensch, um den es geht, soll mindestens solange tot sein, wie er gelebt hat, bevor jemand seine Biographie veröffentlicht. Zweitens: Biographien sollen Zeitgeist, Moden, Alltagsabläufe der Zeit darstellen, in der der Biographierte gelebt hat, und dann erst dessen eigene Beiträge zu seiner Zeit, welches die Spuren sind, die einer hinterlässt. Diesem Ideal entspricht die Biographie, die Annelen Kranefuss verfasst hat, sehr gut. Den zweiten Grundsatz der Anforderungen an eine gute Biographie hat sie dadurch gelöst, dass sie ihrem Buch ein Verzeichnis von Lebensdaten und ein Verzeichnis der Zeitgenossen beigefügt hat. Das klingt wie Name-Dropping, ist es aber nicht. Es ist eher ein Vergleichsverzeichnis. Denn, mal Hand aufs Herz: Wenn Sie eine Biographie lesen, und das steht, was einer im Jahr X getan hat, oder was ihm da passiert ist, wollen Sie da nicht auch wissen, wie alt der Biographierte da war? Auch wenn es nur darum geht, vergleichen zu können? Zum Beispiel: In welchem Alter hat der Biographierte zum ersten Mal was publiziert? Und was haben Sie in diesem Alter getan? Vielleicht ist der Vergleich von Lebensmöglichkeiten der tiefe Sinn von Biographien; vielleicht ändert sich mit dem Vergleich unbewusst schon die eigene Lebensführung?

(Annelen Kranefuss, “Matthias Claudius. Eine Biographie

Hofmann und Campe, Hamburg 2011

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