Rezension: “Angriff auf die Freiheit”

Freitag, 01. Juli 2011

Freitag, 01. Juli 2011

Rezension „Angriff auf die Freiheit“

Hannes Nagel

Überwachungsstaat, dritter Versuch

Wenn wir uns damals in der DDR mal so richtig oppositionell fühlen wollten oder wie ein Dissident, na sagen wir mal konstruktiv regimekritisch bei ständigem Kontakt zur
Linientreue,  dann verglichen wir gerne mal die Stasi und die NVA und die Bullen mit den Nazis – obwohl wir die Nazis gottlob nicht mehr kannten. Gnade der späten Geburt, wie Genosse Helmut Kohl zu sagen pflegte.

Jeder Überwachungsstaat grenzt sich von seinem Vorgänger ab, indem er seine moralische Überlegenheit samt gesetzlicher Legitimation beschwört. Die Worte sind verschieden, aber die Struktur der Sätze bleibt gleich. Ein beklemmender Zustand sprachlicher Kontinuität von Nazistaat, DDR-Staat, der kein Nazi-Staat sein wollte und freiheitlich-demokratischer Grundordnung, die weder Nazi-Staat sein will und die DDR unterschwellig als Nazi-Staat Nummer 2 betrachtet.

Von Ilja Trojanowski und Juli Zeh gibt es ein Buch mit dem Titel „Angriff auf die Freiheit“. Darin steht: „Während in den Schulen immer noch die Idee vom alten Rechtsstaat gelehrt wird, findet draußen der große Umbau statt“.

Wohl wahr. Im Bewertungsmaßstab von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zeigt sich nämlich, dass der Rechtsstaat zum Juristenstaat verkommen ist. Also zu einem Staat, den Juristen unter sich aufgeteilt haben und die Gesetzbücher benutzen, um die Wirkungsmöglichkeit von Paragraphen an Justizopfern zu testen. Siehe Hartz-Vier-Gesetze. Den Bürgern wird aber immer die alte Mär vom gerechten und verantwortungsvollen Rechtsstaat erzählt.

Diesen Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Realität und politischem Wunschdenken nennt man übrigens Herrschaftsideologie.

Was Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen noch lange nicht erlaubt“, sagten die Römer, und zwar auf Latein. Bei den Kommunisten hieß es: „Jugendfreund, dass musst Du dialektisch sehen“, wenn sich ein Bonze Dinge erlauben konnte, die ein langhaariger Dunnerschlag männlichen Geschlechts nicht durfte und maulend wissen wollte, wieso nicht. „Es ist den Untertanen verboten, den Maßstab ihrer beschränkten Einsicht an das Handeln der Obrigkeit anzulegen“, sagte Friedrich Wilhelm König von Preußen und schuf mit diesem Ausspruch die Dienstvorschrift „Innere Einstellung“ für alle Sachbearbeiter, Behördenmitarbeiter, Beamte und Entscheidungsbefugte, die mit dem Volk als Publikum zu tun haben.

Es erleichtert nämlich die Überwachung ungemein, wenn man wissen kanalisiert und sozusagen anhand von Bezugsscheinen vergibt. (von der Leyensche „Bildungsgutscheine“ sind was anderes).

Der Staat leidet an Verfolgungswahn. Nämlich an dem Wahn, seine Bürger bis ins Bett oder aufs Klo verfolgen zu müssen. An dem Verfolgungsdilemma kranken alle Staaten, weil sie immer nur die Organisationsform sind, die ihre höchsten Hierarchieebenen sich zur Durchsetzung ihrer Interessen geschaffen hat. Durch eine solche Fehlwahrnehmung der Bürger und ihrer Interessen durch den Staat kann kein Vertrauen aufkommen, und wo kein Vertrauen ist, keimt Kontrollwut, Überprüfungswut und Datensammelwut.

Manchmal muss man sich großzügig über Vorschriften hinwegsetzen.

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