Rezension: Die Vorhölle

Freitag, 08. Juli 2011

Rezension „Die Vorhölle“

Hannes Nagel

Verdammt und belogen

Schlimm genug, dass sich pro Woche wieder 2 bis 3 Kriegsflugzeuge am Himmel über dem Urlaubsparadies zeigen – immer Mittwochs und Donnerstags. Aber niemanden regt es auf. Niemand tut etwas dagegen, wie damals im Kalten Krieg, weil man die Angst vor der Courage „Einsicht in die Notwendigkeit“ nannte. („Wir können sowieso nichts ändern“). Wir müssen aber. Denn wer heute nichts gegen politische Entwicklungstrends zurück von Demokratie, Freiheit und Wohlstand unternimmt, könnte die aufkommende gesellscahftliche Realität bald als Vorhölle empfinden.

 

Kürzlich inteviewten sie Luc Boltanski auf 3 Sat. Sie taten es wegen eines Stückes moit dem Namen „Die Vorhölle“. „Die Vorhölle“ ist eigentlich ein Bühnenstück, und in gute Bühnenstücke kann man fast alles hinein interpretieren, weil es so viele Leute anspricht. Oder gibt es zum Beispiel irgendwo auf der Welt einen „Sire“, den man nicht auffordern musste, „Gedankenfreiheit“ zu geben? Nein. Na also.

 

3 sat also sah und interpretierte „Die Vorhölle“ als Warnung vor einer weiteren Fortsetzung der derzeitigen Entwicklungstrends in Europa auf den Gebieten Asylpolitik, Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Armut und Kriegsgefahr. Das war das Stichwort. Denn wenn das in dem Buch steht, dann wollte ich es lesen und Sie per Rezension an der Lesung teilhaben lassen. Daher bat ich den Verlag Berlin University Press, mit ein Rezensionsexemplar zu schicken. Das Buch ist wohltuend dünn der Text in Versen aufgebaut. Eigentlich nur in Sprüchen, welche aber einen Rhythmus haben. Wo Rhythmus ist, ist Bewegung, und wo Bewegung ist, kann es viele Richtungen geben: ausweichen, angreifen, bremsen, widerstehen. Alles Tugenden, die gebraucht werden, um eine Fahrt Richtung Mauer oder einen Fall in den Abgrund oder den Schlag eines Armes letztendlich doch noch zu verhindern.

 

Der Trend braucht einen Ort. Da kann Europa sein oder nur Frankreich, aber man kann auch Deutschland erkennen, wenn man Deutschland nun mal Ort der Herkunft und der erworbenen Sprache und Kultur ist. An allen Orten aber gibt es Punkte der Trostlosigkeit: Flughäfen, Bahnhöfe – kamen Sie schon mal nachts um vier auf dem Bahnhof Frankfurt an, mussten umsteigen, aber ihr Anschlusszug würde erst um sechs Uhr kommen, und diese zwei Stunden wären Sie alleine mit sich auf einem menschenleeren Bahnsteig? Allein sein in einer abweisenden Gegend: DAS ist die Vorhölle.

 

Nach knapp 60 Seiten interpretiert der Autor seinen Text selber. Er sagt, es gehe nur um Selektion und Warten. Beides hat, wie die deutsche Geschichte zeigt, mit dem Tod zu tun. Das Wort Vorhölle fällt, die Bühnenbilder stellt man sich als Arbeitsamt vor, aber das Wort Arbeitsamt fällt nicht. Im Literaturverzeichnis aber tauchen die begriffe Freiheit, Kapitalismus und Prekariat auf. Beim abermaligen Lesen fällt dann auf, dass der Autor eigentlichen die totalem Abhängigkeiten der Arbeitnehmer von den Arbeitsgebern beschreibt. Er sagt: Die Abhängigkeiten nehmen immer mehr zu. Abhängig sein von Arbeitgeber, Jobvermittler, Sozialarbeiter, Einkommen. Stimmt, möchte man sagen, denn in der Wirtschaft ist ja zum Beispiel von Menschen keine Rede mehr, sondern von Verbrauchern. Ich bitte Sie: Sind Sie dazu da, den Müll zu verbrauchen, den der Kapitalismus produziert? In dem er ersticken würde, wenn Sie den Dreck nicht verbrauchen würden, damit die oberen Herrschaften nicht in ihrem eigenen Müll ersticken?

 

Ich bin kein Verbraucher. Meine Aufgabe ist es, nach Wegen zur sozialen Gerechtigkeit und einem menschlichen Miteinander zu suchen. Wo es Bedarf gibt, will cih Nächstenliebe geben. Den Kapitalismus nervt das. Soll es ruhig.

 

Im Buch steht nichts von Europa. In der Kulturzeit-Sendung war von der Vorhölle Europa die Rede.

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