REZENSION: „Hotel Florida“

Rezension „Hotel Florida“

„Spanien 1936 vor der Liebeskulisse analysiert“

 In der zehnten oder elften Klasse war im Geschichtsunterricht der DDR unter anderem der spanische Bürgerkrieg 1936 bis 1939 dran. Der Lehrstoff blieb vage und beschränkte sich auf die Namen Hans Beimler und Arthur Becker sowie auf die Begriffe Legion Condor und Thälmann-Bataillon. Im Literaturunterricht kam gleichzeitig Die Gewehre der Frau Carrar dran. Hemingway kam mit der Geschichte des alten Mannes am Ebro dran, der die Tiere retten wollte. Um die Katzen musste er sich nicht kümmern, die konnten alleine überleben. Vom Stoff und seiner Vermittlung konnte keiner begreifen, wer warum wen bekämpfte, wie die politischen Einflusspotentiale von Parteien, Gewerkschaften, Widerstandsgruppen und des konservativen Establishments verteilt waren. Filme mit ihren jeweiligen Rollenklischees halfen da besser. Uniformen und Ledermäntel sind böse, Baskenmützen auf dem Kopf sind gut. Der Schulunterricht beantwortete nie die Frage, woher die einfachen Leute ohne die Möglichkeiten zur Analyse politischer Interessengruppen in bewaffneten Konflikten wussten, für wen sie Partei ergreifen sollten. Aber sie wussten es, und damals in der Schule hätte man die Wege zu Information und Zusammenwirken politischer Strukturen in Spanien wissen können, wenn es 1982 schon das Buch „Hotel Florida“ von Amanda Vaill gegeben hätte. Aber es kam ja erst 2015 heraus. (Amanda Vaill, „Hotel Florida. Wahrheit, Liebe und Verrat im Spanischen Bürgerkrieg“, Klett-Cotta, Stuttgart 2015) Obwohl in diesem Buch gezeigt wird, dass alle Künstler, Journalisten, Fotografen und Intellektuelle am Anfang auch überhaupt nicht wussten, was hier gespielt wird. Das machte erst Stalin klar, als er sie Republikaner nicht mehr unterstütze und so den Kampf gegen Francos aufkommende faschistische Diktatur verriet. Das Chaos am Anfang beschreibt folgende Szene:

„Barea ging mit seinem Bruder Miguel in das Café de la Magdalena, ein ehemaliges Flamenco-Lokal. Doch mit Entsetzen stelle er fest, dass es dort von Zuhältern und Prostituierten nur so wimmelte, und von betrunkenen Arbeitern, die alle im Gürtel ihres Overalls eine neue Pistole stecken hatten. Die eine Hälfte gröhlte die Internationale, die andere versuchte die Kommunisten mit anarchistischen Parolen nieder zu brüllen“ (Seite 39). Versuch mal, in so einer Situation zu erkennen, worum es eigentlich geht und warum Du Dich da einmischen sollst – das kannst Du nur, wenn Du schon vorher einen sogenannten Klassenstandpunkt hast. Bloß der eignet sich nicht mehr für eine Analyse, weil er schon von vorgefertigten Grundansichten ausgeht, die nicht weiter hinterfragt werden dürfen. Deshalb bedeutete Klassenkampf ja auch immer Kampf innerhalb einer Klasse um reinste Einhaltung der Lehre – und das Kapital uns alle anderen lachen sich einen Ast über die zerstrittenen Gegner, die keinen ordentlichen Widerstand auf die Reihe kriegn. Das gilt übrigens analog auch heute für das Prekariat, das sich lieber miteinander streitet als sich einmal entschlossen gegen den neoliberalen Sozialfaschismus zu erheben. Franco und die Antikomintern hatten offenbar ein leichtes Spiel mit den Sängerknaben der Arbeiterklasse, die „Spaniens Himmel breitet seine Sterne über unsern Schützengräben aus singen konnte.“. Trotzdem ging vom spanischen Bürgerkrieg eine Anziehungskraft aus, die Schriftsteller und Journalisten und Fotografen ebenso anzog wie Schlosser, Dreher, Lehrlinge, Eisenbahner und andere Arbeitsberufe, die lieber paramilitärisch geschult Francos Truppen bekämpfen wollten. Wer wen ausrüstete und wieso ausländische Unterstützer der republikanischen Truppen ins Land ließ, war mir bis zu diesem Buch unbekannt. Wenigstens kommt man durch die Lektüre zu der Fähigkeit, die zum Verständnis von Spanien 1936 wichtigen Fragen zu stellen und gezielt nach Antworten zu suchen. Es gibt ja genug Analogien zu Spanien 1936 – Russland, Ukraine, vielleicht bald Griechenland? – 1936 in Spanien hatte Francos Putsch einen Bürgerkrieg ausgelöst. Weil die kleinen Leute immer alles erst häppchenweise erfahren, sind sie zwischenzeitlich missbrauchbar, damals wie heute. Aber wie soll man trocken bleiben, wenn überall ringsumher die Gischt schäumt. Solches Unbehagen bleibt in den bewaffneten Konflikten jeder Zeit erhalten, auch in denen, die noch nicht bewaffnet ausgetragen werden, womit ich mich aktuell auf die derzeitigen Krisen des Kapitalismus beziehe.

Mitten in dieses spanische Wespennest des Bürgerkriegs hat die Autorin die Biographien diverser Personen der Zeit-und Kulturgeschichte eingebaut. Sie waren Franco-Gegner und Liebespaare, und das Hotel Florida war ihnen Residenz, Zentrale, Treffpunkt und zwischenmenschlicher Rückzugsort. Wenn Männer, Frauen, Spione und Kriegsdiplomatie zusammen kommen, geht es unweigerlich um Sex. Liebe, Verrat , Tod und fiebrig rauschende Nervenanspannung. In Kriegen weiß keiner, ob es noch ein Morgen geben wird, und darum nutzt jeder seine Gegenwart, um noch ein paar Leidenschaften mitzunehmen, nur eben auf engerem Raum und in kürzeren Zeitabständen, als im geruhsamen Friedensleben. Trotzdem: Es gibt keinen gerechten Krieg, und Frieden ist ein erstrebenswerter Daseinszustand. Auch der Frieden muss das Toben der Leidenschaften nicht zum Faulsein verführen. Das wichtigste Merkmal des Buches ist der Verrat der Politik an den Menschen, die die Politik für ihre Ziele einspannt. Erst durch Stalins Politkommissare wurden die Republikaner militärisch schlagkräftig, und als sie Franco besiegen konnten, nahmen ihnen Stalin Protektion und Unterstützung. Wie die Personen im Buch das erkannten, ist spannend beschrieben. Aber manche begriffen nichts. Sonst könnte man erkennen, dass Spanien quasi die Blaupause zum neuen geplanten großen Krieg ist.

(Amanda Vaill, „Hotel Florida. Wahrheit, Liebe und Verrat im Spanischen Bürgerkrieg“, Klett-Cotta, Stuttgart 2015)

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