FEUILLETON-REZENSION: Weißbuch 2016 der Bundeswehr

FEUILLETON-REZENSION
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Rezension „Weißbuch Bundeswehr“

„Militärische Programmankündigung bis 2026“

Im Wettlauf um eine komfortable Ausgangsposition in den kommenden Kriegen will scheinbar kein Land Abseits stehen. Auch Deutschland nicht und nicht das Verteidigungsministerium und nicht die von der Leyen geführte Bundeswehr. Ministerium und Militärführung sind seit 1969 im 10-Jahres-Takt mit ihrer verteidigungspolitischen Orientierungsanpassung beschäftigt. Die daraus entstehende Drucksache trägt seit 1969 den Namen „Weißbuch“. Warum sich das Militär die Farbe weiß für ihr Buch gewählt hat, ist unbekannt. Bekannt aber ist, dass es auch ein „Schwarzbuch“, ein „Braunbuch“ und ein „Rotbuch“ gibt. (Rotbuche gibt es auch, ist aber im Vergleich zu dem namensähnlichen Buch etwas Schönes. Und Rotbuch ist der Name eines Verlages, welcher Rotbuch-Verlag heißt).  Weißbuch ist also im Grunde der Versuch, einer langperiodischen Publikation die Ausstrahlung einer historisch bedeutenden Dokumentensammlung zu geben. Dafür kann man den Gattungsnamen „Weißbuch“ benutzen. Man kann aber auch darauf warten, dass dieser Gattungsname von einer unabhängigen Stelle vergeben wird. In jedem Fall stellt der 10-Jahres-Plan eine Programmankündigung über die Entwicklung der Bundeswehr und die „verteidigungspolitischen Richtlinien“ der BRD bis 2026 dar. „Verteidigungspolitische Richtlinie“ ist seit dem ersten unter dem Gattungsnamen „Weißbuch“ verfassten Bundeswehr-Programmheft eine politiksprachliche Floskel, die nicht weiter in einzelne Sprachelemente zerlegt wird.
Ende Mai, Anfang Juni war das Weißbuch noch nicht veröffentlicht. Aber es gab bereits ein Interview eines Journalisten von der Mainstreamlobby „Atlantikbrücke“ mit einem General, der an der Ausarbeitung des Weißbuches federführend beteiligt war. Angeregt plauderten die Herren über die verteidungspolitischen Richtlinien und die neuen Herausforderungen an eine moderne Armee, zu welchen sie die Bundeswehr zählen. Der Brigadegeneral heißt Carsten Breuer. Der Mann auf der Atlantikbrücke heißt Burkhard Schwenker. Die Herren sangen ein feuriges Duett zur für die innere Zustimmungsbereitschaft des Volkes zu militärischen Einsätzen der Bundeswehr im Innern. Burkhard Schwenkers Eröffnungsarie begann mit einem Klagevers über die jüngsten NATO-Militärmanöver, die spätestens seit dem russisch-ukrainischen Krimkrieg seit 2015  zunehmen.

„Ich erinnere mich an eine Übung auf einer Fregatte, an der ich vor einigen Jahren teilnehmen durfte. Das Szenario war: Es finden Bedrohungen statt, die man nicht genau erkennen kann. Immer mehr Flugzeuge flogen über das Schiff, einige identifizierbar, andere nicht, neue Schiffe kamen hinzu, nicht alle antworteten auf Funksprüche, Meldungen widersprachen sich. Kurz: Es wurde Konfusion erzeugt.“

Oder anders ausgedrückt: Die NATO übte zu dem nicht genannten Zeitpunkt etwas, was in dem russisch-ukrainischen Krimkrieg als neue Kriegsform auch außerhalb einer Manöverlage praktiziert wurde. Die neue Kriegsform wird inzwischen als “hybrider krieg” bezeichnet. Darauf der General:

„Die Besonderheit der Hybridität ist es, dass man plötzlich ein Ereignis, eine Störung feststellt, die nicht mehr klar auf den wirtschaftlichen, den militärischen oder den sozialen Sektor eingrenzbar ist. Es ist kennzeichnend für hybride Bedrohungen, dass Angriffe bewusst auf den staatlichen und gesellschaftlichen Bereich zielen.“

Man hätte auch “nicht mehr klar erkennbarer Krieg” sagen können, dann hätte man das Wort “hybrid” nicht gebraucht. Dann wäre allerdings ein Stück weit klar geworden, was zur Zeit eigentlich passiert. Dann nimmt der General selbst das Beispiel Ukraine, um den hybriden Krieg zu erläutern.

„Wenn  man sich die Ukraine anschaut: Was hat uns daran eigentlich so verblüfft? Ich glaube, es war neben den wirklichen Gefechtshandlungen vor allem die Art der Propaganda, die dort angewendet wurde. Hybridität beinhaltet aber nicht nur verschiedene Elemente. sondern eine ganz bewusste Verwischung der Grenze zwischen Krieg und Frieden . Ist es schon Krieg? Oder ist es noch Frieden?“

Wenn die Menschen zur Zeit vielfach eine diffuse Kriegsdrohung spüren und nicht wissen, was die NATO damit zu tun hat und ob sie ihr sicherheitspolitisch vertrauen können, dann hat der General der Gesellschaft mit diesen Worten geholfen, „den Teufel beim Kacken“ zu erwischen. Früher, sagt der General, war es einfach. Egal was geschah: Krieg war, wenn die Akteure Beziehungen zu anderen Staaten hatten oder von anderen Staaten beauftragt worden waren. „Plötzlich haben sie diese staatliche Bindung nicht mehr immer mit dabei“, beklagt der General, und nun weiß er gar nicht, ob offensichtlich kriegsähnliche Geschehnisse nun von Spezialkräften eines Staates zum Zwecke des Regimewechsels in einem anderen Land verursacht werden oder ob es einfach nur allgemeine Terroristen ohne politischen Auftrag oder politisches Ziel sind, die eigenen Interessen folgen, zum Beispiel Piraten vor Somalia, die mit Lösegeldforderungen ihre armselige soziale Lage aufbessern wollen. Solche und ähnliche Szenarien erörtern die Herren noch ein Weilchen,  bis sie dann auf den Punkt kommen, vor dem die Bundeswehr in den nächsten zehn Jahren steht:

„Wir haben eigentlich eine Fülle von Instrumenten, mit denen wir Krisenfrüherkennung betreiben können. In der Analyse und in der Vernetzung sind wir aber noch nicht da, wo wir sein wollen, nämlich so gut, dass wir wirklich erkennen können, was am Horizont auftaucht. Dieser Vernetzung der Instrumente zur Krisenfrüherkennung kommt besondere Bedeutung zu – und das über alle Politikbereiche hinweg.“

So werden Firmen der Internetsicherheit natürlicher Partner der Polizei, die ihrerseits auf nachrichtendienstliche Erkenntnisse und militärstrategische Analysen des Weltgeschehens angewiesen sind. Der Einsatz der Bundeswehr im Innern wird dann hybrid sein. Oder mit den Worten des Generals bei der Erklärung von hybrid: Man erkennt gar nicht mehr, ob man es mit Wachdiensten oder Bundeswehr zu tun hat.

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