FEUILLETON-ZEITGEIST: Ohne Grund kein Einkommen

Feuilleton-Zeitgeist

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„Ohne Grund kein Einkommen“

 Der Wunsch nach der Flasche, die nicht leer wird.
Seit 1990 ist der Sozialismus in Europa zu Ende. Genauso lange werden die Arbeitsmärkte der Nationalwirtschaften in der Europäischen Union unermüdlich nach dem amerikanischen Vorbild der Minilöhne und der minimalen Arbeitnehmerrechte umstrukturiert. Infolge dessen entstand eine neue Klasse der sozial und gesellschaftlich ausgegrenzten Mitbürger. Zwei Attribute kennzeichnen die Lebensverhältnisse der Betroffenen. Sie heißen „heikel“ und „prekär“. Das Leben bei „Heikel & Prekär“ bedeutet nach der Worterklärung des Deutschen Universalwörterbuchs von A-Z, auch genannt „Duden“, dass es schwierig ist und gefährlich. Heikel ist eine Situation auch dann, wenn das Erkennen der Möglichkeiten unscharf bleibt, so dass man nicht sieht, welches Verhalten und welche Handlung ratsam erscheinen, um die Lage zu verbessern. Man sieht vielleicht als Lösung, mit einer Axt ins Jobcenter zu stürmen, um die Schreibtische gerade zu rücken, man weiß auch, dass dies keine gute Lösung ist, aber die richtige in dieser Situation sieht man nicht. (Die Lösung hat damit zu tun, auf unzählig viele Arten eine Form von Partnerschaft zwischen beiden Seiten des Schreibtisches herzustellen. Das KANN funktionieren, funktioniert aber nicht unbedingt unter GARANTIE) Es erscheint völlig klar, dass in solchen heiklen Situationen der Wunsch nach der Flasche entsteht, die nicht leer wird, so dass der Durst nach Leben jederzeit befriedigt werden kann.

Wenn jemand aus der heiklen Lage heraus in eine tiefer liegende Schicht fällt, wird die Lage prekär. Prekär ist eine Situation dem Duden zufolge dann, wenn man aus dieser Lage nicht mehr selber heraus kommen kann, sondern auf die Erfüllung von Bitten durch Dritte angewiesen ist. Wenn dem Sozialverhalten in normalen Situationen das Bitten um Hilfe aufgezwungen wird, kann man dieses Bitten auch Bettelei nennen. Bettelei trifft die Sache im Kern, erregt aber auch Unmut. „Sie können doch einen Antrag auf Sozialleistungen nicht mit Bettelei gleichsetzen“, empört sich die Öffentlichkeit. Unabhängig von der Empörung ist man mit der Gleichsetzung ziemlich dicht am Kern der Dinge dran, wenn man einen Hartz-Vier-Antrag als Bettelei bezeichnet. Es erscheint völlig klar, dass in solchen prekären Situationen der Wunsch nach der Flasche entsteht, die nicht leer wird, so dass der Durst nach Leben jederzeit befriedigt werden kann.

Mit den geringfügigen Löhnen nach amerikanischem Vorbild kann sich kein Mensch mehr absichern, um wenigstens gegen die gröbsten Unwägbarkeiten im Erwerbsleben einer Marktwirtschaft gewappnet zu sein. Darum klingt der Wusch nach einem bedingngslosen Grundeinkommen wie ein Befreiungswunsch im Märchen. Da fällt dann auch ein Sterntaler vom Himmel, und die Fischer haben fortan volle Netze. Aber ohne die Pflicht einer dafür zu erbringenden Gegenleistung funktionierte auch keine Märchenfreiheit. Verlockend am bedingungslosen Grundeinkommen ist nur dies: Das Grundeinkommen würde im Idealfall ausreichen, um Miete, Versicherungen, Kultur, Bildung, Gesundheit, Familie und freie Entfaltung der eigenen Fähigkeiten zu bezahlen. Eventuell würden einige faul werden. Eventuell würden andere aber auch trotzdem fleißig in angestellten Verhältnissen weiter tätig bleiben. Wer aber nicht angestellt ist, wird vermutlich auch nach einem Grundeinkommen nicht angestellt. Es sei denn als Ehrenamtler. Der Widerstand gegen das bedingungslose Grundeinkommen wird immer mit der erzieherischen Pflicht des Staates zur Vermeidung von Müßiggang begründet. Dabei kommt Müßiggang nur bei den Reichen und Schnöseln vor, die so reich sind, dass sie beim Aufstehen nicht wissen, ob sie sich heute die Eier linksrum oder rechtsrum schaukeln sollen. Die Befürwortung eines bedingungslosen Grundeinkommens wird immer mit dem unermesslichen  Reichtum begründet, dessen Aufteilung die ganz Reichen kein bisschen spürbar jucken würde, wenn sie per Gesetz zur Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens verpflichtet wären. Beide Lager versuchen sich ständig zu widerlegen, anstatt die Preill-Herricht-Methode anzuwenden. Sie heißt: Wir spielen das jetzt mal. Die versuchsweise Einführung des Grundeinkommens hat bisher nur Finnland angekündigt. Details dazu sollen im Sommer öffentlich bekannt werden – und noch etwas später können dann die ersten Erfahrungsauswertungen vorliegen. In Deutschland gibt es Analysen und Bewertungen über das Grundeinkommen schon bevor man damit Erfahrungen gemacht hat. Dabei wird bewiesen, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens schon allein deshalb unnötig ist, weil die praktische Möglichkeit einer solchen Sozialversorgung undenkbar ist.

„Bleibt das Wissen im Ungefähren, kann man damit Ängste nähren“
Die finnische Regierung hat 2015 die Möglichkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens in einem praktischen Feldversuch zu prüfen. Es wird vermutlich darauf hinauslaufen, dass verschiedene Modelle eines monatlichen Einkommens OHNE ARBEIT ersonnen werden. Dann kann jeder von einem bedingungslosen Grundeinkommen reden, aber alle etwas anderes meinen. In Deutschland könnte man zum Beispiel sagen, dass die Höhe des Regelsatzes von Hartz-Vier in Verbindung mit den angemessenen Kosten für Miete und Heizung das Grundeinkommen wären. Im Grunde hieße das Hartz Vier ohne Bedürftigkeitsprüfung. Om Oktober 2015 –vor etwa acht Monaten – hielt Helsingin Sanomat die Idee des Grundeinkommens für eine schöne Freiheitsutopie. Nur eben nicht zu Ende durchdacht, meinen Konservative und Sozialwissenschaftler. Grundeinkommen gut uns schön, „aber wenn man mal nachrechnet, ist das gar keine einfache Entscheidung mehr“, zitiert die Zeitung einen Professor für Sozialpolitik der Uni Helsinki. „Das Grundeinkommen ist eine Idee, der man sich aus verschiedenen Richtungen nähern kann. Aber im Kern ist es eine ziemlich ungenau bestimmte Idee“. Nichts Genaues weiß man nicht, und bleibt das Wissen im Ungefähren, kann man damit Ängste nähren. Manche haben Angst, dass der Einfluss des Staates auf die Arbeitlosen sinkt, während deren Freiheitsempfinden wachsen könnte. Für herrschende Eliten ist dies fürwahr eine beängstigende Vorstellung. Ungefähr auf der Basis dieser Überlegung muss die finnische Tageszeitung „Helsingin Sanomat“ am 31. März 2016 zu der Erkenntnis gekommen sein: „Grundeinkommen könnte 550 Euro im Monat sein“. Soweit wie ich Finnland kenne, sind 550 Euro im Monat nicht gerade lebensfreundlich. Im nordischen Winter steigt nun mal der Verbrauch an Strom, um nicht im Dunkeln frieren zu müssen. Das finnische Experiment ist für den Zeitraum 2017 bis 2018 geplant. Es scheint jedenfalls so zu sein, dass sich die Finnen eine Art Sozialfixum mit arbeitsabhängigem Zuverdienst vorstellen. Das würde zumindest das Schreckgespenst der Förderung von Müßiggang und Faulheit im Tageslicht der hellen Zukunft verblassen lassen. 550 Euro pro Person und Monat klingen doch wieder eher nach Sozialhilfe als nach einem bedingungslosen Grundeinkommen.

Die Idee könnte Liberale und Revolutionäre einigen.
Soziale Utopien werden trotz aller Rückschläge nicht müde beim Nachdenken über eine Gesellschaftsordnung samt dazugehöriger Wirtschaftsordnung, in der für eine menschenwürdige soziale Absicherung Aller gesorgt ist. Erstaunlich war es, dass in Deutschland praktische Forderungen nach einem arbeitsunabhängigen Grundeinkommen aus Unternehmerkreisen kamen. Man könnte sagen: Wenn Kapitalisten es für möglich halten, dass alle Menschen vom Staat bezahlt werden und dann nur noch diejenigen einer Lohnerwerbsarbeit nachgehen, für die die Lohnarbeit Bestandteil ihres Lebenssinns ist, dann ist es auch bezahlbar. Wer, wenn nicht die Kapitalisten, würden schließlich am Besten mit Geld umgehen können? Das bedingungslose Grundeinkommen könnte sowohl für die sozialutopischen Selbstverwirklichungsträume als auch für die liberale Glücksvorstellung der Einheit von Wettbewerb und Leistung ein gemeinsamer Ausgangspunkt sein. Von einem Ausgangspunkt sind ja verschiedene Richtungen möglich. Ebenso sind sehr viele Formen möglich, wie das Grundeinkommen ausgezahlt werden könnte. Sehr einfach könnte es sein, jedem Bürger einen Jahresetat auszuzahlen, mit dem er dann über die Runden kommen muss. Ein „Bissel was Extras“ könnte durchaus jedem selbst überlassen sein – jedenfalls wenn es keinem Unmöglich gemacht wird. Ob das bedingungslose Grundeinkommen aber zu Faulheit oder freier Selbstverwirklichung führt, weiß man nicht. Man wird es auch nicht wissen, wenn es nicht einmal ausprobiert wird. Einigkeit scheint nur darüber zu herrschen, dass keiner weiß, was ein Grundeinkommen mit den Menschen macht, für das sie nicht arbeiten müssen. Es weiß auch keiner so genau, wie hoch es denn sein würde und wie weit man dann damit käme.

Das Zaudern der Schweiz.
Am Sonntag, dem 05. Juni 2016, stimmte das schweizer Volk mehrheitlich gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle Erwachsenen. In konservativen Beobachterkreisen herrschte die pure Erleichterung. Die Süddeutsche Zeitung titelte „Nein zum Grundeinkommen – jetzt wieder an die Arbeit“. Das Zaudern der Schweiz vor einer gesetzlichen Regelung eines Grundeinkommens ohne Wenn und Aber dürfte all jene Beobachter in Deutschland erstaunen, die kein oder nur ein geringes Einkommen erzielen. Kein Einkommen bedeutet Leben von Sozialleistungen – geringes Einkommen bedeutet Leben mit auch nicht viel mehr als dem Almosen, welches die Armen vom Staat beziehen. Entweder sind die Bürger der Schweiz einsichtig genug, um zu erkennen, dass die  monatliche Auszahlung eines Einkommens ohne jeglichen Grund dafür zur Faulheit verleiten könnte. Sagen die Schweizer wirklich von sich selbst: „Wir sind noch nichtg so weit“? Immerhin kam das Nein per Volksabstimmung zustande. Das wäre in Deutschland undenkbar. „Eine bedingungslose Existenzsicherung kann man nicht mißbrauchen“ hieß ein Interview des Onlinemagazins Telepolis mit einem der Mitinitiatoren der schweizer Volksabstimmung. Der sagte, ein  Grundeeinkommen ließe sich gar nicht mißbrauchen, aber wie man damit umgehen wolle, müsse sich erst durch Erfahrungen und Gewohnheiten zeigen. das heißt: Nach dem Signal kommt nun eine Sammlungsphase von Einzelerfahrungen, auf denen man aufbauen kann. Denn als Schweiz als erster ins Unbekannte vorzustoßen und Vergleichsmöglichkeiten zu kennen, beunruhigt.

Dabei köpnnte es doch vielleicht ganz einfach sein: man braucht statt eines bedingungslosen Grundeinkommens nur ein unbedingtes Arbeitseinkommen. Dafür müsste nur alles, was ein Mensch für seinen Lebensunterhalt tut, als Arbeit anerkannt werden. (Außer Raub, Mord, Betrug und Vorteilswahrnehmung zum Nachteil anderer)

Materialien:

„Nein zum Grundeinkommen – jetzt wieder an die Arbeit“, Süddeutsche Online, 05.06.2016

„Grundeinkommen abgelehnt – Diskussion geht weiter“, Spiegel-Online, 05.06.2016

„Perustulo ei ratkaise tulo-ongelmaa”, Helsingin Sanomat, 20.01.2016

“Perustulo on kaunis utopia vapaudesta” , Helsingin Sanomat, 15.10. 2015

„Perustulo voisi olla 550 euroa kuukaudessa“, Helsingin Sanomat, 31.03.2016

„Geld für gar nichts”, FAZ, 15.05.2016

„Eine bedingungslose Existenzsicherung kann man nicht missbrauchen“, Telepolis, 04.06.2016

„Das ist keine Belohnung fürs Nichtstun“, N-TV, 04.06.2016

„Es geht nicht um Geld, sondern um Macht“, N-TV, 05.06.2016

„Die Idee ist gut, aber…”, Tagesspiegel, 07.06.2016

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