FEUILLETON-REZENSION: Begegnungen im Fernen Osten

Titel: Begegnungen im Fernen Osten

Autorin: Lili Körber

“Reiseliteratur und Bildungsliteratur im gemeinsamen Einband”

Reisereportagen und Zeitungen, die den Reisebauftragten Journalisten, Reportern oder manchmal privilegierten Weltenbummeln die Kosten zahlten, gibt es nicht mehr. Zudem ist kaum noch jemand auf „Stellvertreterreisen“ angewiesen, die man dann, wenn man noch ein sehr junger Tänzer auf dem Leseparkett ist, mit staunenden Augen und glühenden Wangen verschlingt. Reiseliteratur hatte oft etwas von realer Abenteuerromantik an sich. George Kennan zum Beispiel schrieb 1885 das Buch „Und der Zar ist weit“ mit einer Mischung aus Abenteuer, Forschungsbericht, Landeskunde und gesellschaftlicher Beobachtung. Andere Reisen waren aber nicht von Abenteuerromantik initiiert worden. Es gab auch Reisende in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, die vor Deutschland, dem aufkommenden Faschismus und dem am Horizont bereits drohenden zweiten verheerenden Krieg flohen. Es entstand die von Literaturhistorikern so zutreffend genannte „Exilliteratur“. Den meisten Leuten fallen Anna Seghers und Bert Brecht ein.

In diesen nur mit wachen Sinnen durchschaubaren dreißiger Jahren und durch die Widersprüchlichkeit der Zeit geprägt, unternahm die österreichische Schriftstellerin, Journalistin und Literaturwissenschaftlerin Lili Körber 1934 eine Reise nach China, Japan und Birobidschan. Ihr damals veröffentlichtes Manuskript erschien 2020 als Nachauflage im Wiener Promedia-Verlag. Zuerst hatte ihn Rowohlt 1936 verlegt. Die Autorin Victoria Hertling stieß auf den Reisebericht und brachte ihn 2020 neu heraus.

Schon allein das Vorwort von Viktoria Hertling enthält alle Elemente eines unglaublich spannenden Forschungsberichtes aus dem Überschneidungsbereich von biographischer Personenforschung, literarischer Publikationsgeschichte der zu erforschenden Person sowie aus dem Bereich der Methoden landeskundlicher Forschungen anhand von Expeditionen oder individuellen Zeitzeugen-Reisen. Als Doktorandin der Literaturwissenschaft las Viktoria Hertling Werke von Lili Körber. Lili Körbers Publikationsliste liest sich wie eine Fortsetzungsserie über die Stationen einer Lebensbahn:

1932 Eine Frau erlebt den Roten Alltag

1934 Eine Jüdin erlebt das Neue Deutschland

1936 Begegnungen im Fernen Osten

              Scha-San, ein japanischer Held

1938 Eine Österreicherin erlebt den Anschluß

Teils erschienen ihre Reportagen in Zeitungen, teils als eigenständige Buchprublikationen. Hier liegt meines Erachtens eine Ungenauigkeit im Vorwort von Viktoria Hertling vor. Als würde ein Nachrichtensprecher nuscheln, um darüber hinweg zu täuschen, dass er einen fremdländischen Namen nicht richtig aussprechen kann.

Das Zeitfenster von Lili Körber stand vom 25. Dezember 1897 bis zum 11. Oktober 1982 offen. Die Autorin Hertling und die Autorin Körber kamen 1979 miteinander in Kontakt. Die Ältere war zu dem Zeitpunkt 82; die Jüngere war – eben jünger. Die Gleichung geht mit dem Buchtext der Jüngeren nicht auf. Aber die Gespräche der beiden Damen fanden in offener journalistischer Atmosphäre statt. Die Gespräche endeten mit der Bemessungsgrundlage des biographischen Zeitfensters der älteren Dame. Ihr Kern ist die Aufklärung darüber, dass die Fernostreise von 1934 nur möglich wurde, weil es keine Fortsetzung der Reportage „Eine Frau erlebt den Roten Alltag“ gab. Diese Reportage ist den Worten Lili Körbers nach ein Bericht über eine längere Arbeitsanstellung in einer russischen Fabrik und der sozialistischen Arbeitswelt in den Putilow-Werken.

Auch ein wenig bekanntes Detail der Geschichte kommt in Lili Körbers Reportage zur Sprache. Am russisch-chinesischen Grenzfluss Amur hatte es ein autonomes jüdisches Siedlungsgebiet gegeben. Birobidschan heißt die Gegend, un Lili Körber hatte Gelegeneheit, es zu bereisen und mit den Menschen dort zu sprechen. Das Kapitel Birobidhan enthält nicht über die Hintgergründe der Ansiedlung von Juden. Dafür aber enthält es ei ne gründliche Beschreibung der Rohstoffvorkommen in der Region „Priarmursk“. Das Kapitel Birobidschan liest sich wie eine in wörtlicher Rede und Gegenrede wiedergegebene Besiedlungsgeschichte eines 70.000 Qadratkilometer große Landstriches.

Einmal gibt es dann doch einen historischen Bezug auf das Jahr 1929, in welchem es von Weißgardisten – Anhänger der zaristischen Truppen – unter einem Herrn Petljura kam.

Der Nachteil der Beschreibung ist die Notwenigkeit, parallel dazu Geschichtsbücher zu wälze. Aber die Anhaltspunkte sind präzis genug, um sofort zu wissen, unter welchem Ereignis man nachlesen muss.

Das heißt: Wenn Bücher neugierig auf eine Vertiefung des Wissens zum dargelegten Thema machen können, dann erfüllen sie ganz vorbildlich die vornehmste Aufgabe von Reiseliteratur als Bildungsliteratur.

(Lili Körber, „Begegnungen im Fernen Osten“, Promedia, Wien 2020)

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