ONKEL JULES VERNEUM: Flüsse sind Lebewesen

ONKEL JULES VERNEUM

Flüsse sind Lebewesen

Nachdem in der Rubrik „Onkel Jules Verneum“ ein Beitrag von Karoline Busch über das Hochwasser an der Ahr erschien, muss jetzt eine Rezension in der gleichen Rubrik erscheinen. Sie betrifft das Buch „Fluss-Natur“ von Josef H. Reichholf.

Poeten schreiben anders über Flüsse als Ingenieure. Bauern und Binnenschiffer auch. Biologen, Ökologen, Zoologen ebenfalls. Von, mit, an, auf und in Flüssen lebt eine Schöpfungsvielfalt. Keine Schöpfungseinfalt aber repräsentiert mit ihrer Sicht vom Fluss alles Wissenswerte über Flüsse. Nur das Schöpfungsmitglied Mensch benutzt die Möglichkeiten der Sprache, des Abstrahierens und des Ausdrucks von Empfindungen mit Worten, um das Wesen eines Flusses mit dem beruflich bedingten Wortvorrat zu beschreiben. Biber kommunizieren mit Wasserbauleuten über die Funktionalität ihrer Konstruktionen. Wie aber erklären Wasserbauingenieure einem Biber die arbeitsteiligen Anliegen – und können Biber dann Ufer vor Auskolkungen schützen oder die Fließgeschwindigkeit auf ein Notwendikum reduzieren, ohne das Menschen dafür erhebliche technische Aufwendungen betreiben müssen? Wenn Flüsse Lebewesen sind, dann sind sie „lebende Lebensräume für andere Lebewesen“ – sozusagen eine werdende Mutter.

„Flussnatur“ ist eine leidenschaftliche Lebensbejahung, die ein kleiner Ökologe dem profitorientierten Teil des Wasserbaus, speziell des Bauens am Fluss, entgegen setzt. Der Autor erörtert zum Beispiel Hochwasser und Niedrigwasser als normale Phasen eines Flusses, mit denen alle, die an, von und mit ihm leben, umgehen müssen. Das muss man lernen. Und man muss nicht versuchen, mittels technischer Mittel Flüsse in ein „Prokrustesbett“ zu zwängen. Kein Fluss fließt von Natur aus gerade, kein Kanal ist von Natur aus vorgegeben. Es sei denn, man betrachtet schmale hohe enge Felsschluchten, durch die Wasser fließt, als eine Art Kanal.
Wenn Kanäle bauliche Eingriffe in die Lebensbedingungen von Flüssen sind: Unterscheidet einen Mühlbach von einem Stausee dann nur die schiere Grösse und die Massivität des Eingriffs den Stausee vom Mühlbach? Und wieviel Eingriffe vertragen Flüsse? „Den Fluss machen zu lassen“, ist schließlich auch keine Lösung, erörtert Josef H. Reichholf. Besonders der Aspekt des Grundwassers und der Versickerung von Niederschlagswasser iBoden erfährt angesichts eines aktuellen Eingriffsvorhabens eines Energiekonzerns in die Spree einen unerwarteten Grad von Aktualität. Einem Bericht des Magazinss Telepolis zufolge plant die Leag in der Lausitz „die Anzapfung der Spree für das Kraftwerk Jänschwalde“.1 Als Beleg verweist Telepolis auf eine Publikation der Grünen Liga gegen eine geplante Spreewasserentnahme. 2 Daher ist das Buch von Josef H. Reichholf eine hochaktuelle Publikation zum Status von Wasserdargebot, Klimawandel und Dürrezeiten mit Orientierung auf behutsamen, nichttechnischen Umgang mit Flüssen und allen, die an ihnen, in ihnen und von ihnen leben.

(Josef.H.Reichholf, “Flussnatur”, Oekom-Verlag, München 2021)


1 Vgl Telepolis, https://www.heise.de/tp/news/Der-Durst-der-Kohle-6233532.html

2 https://www.kein-tagebau.de/index.php/de/themen/klima-wasser/739-protest-auf-die-spree-projiziert-gruene-liga-gegen-spreewasser-entnahme-fuer-das-kraftwerk-jaenschwalde

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