Glosse: SarraSzenen auf Berliner Bühnen

Montag, 20. September 2010

Autor: Hannes Nagel

SarraSzenen auf Berliner Bühnen

Am Berliner Koalitionstheater wird das Trauerspiel „Die Wespe oder Das schwarz-gelbe Stechgespenst“ weiter gespielt. Buhrufe aus dem Publikum würden zwar gerne die Darsteller in Schimpf und Schande davon jagen, aber das geht nicht. Während einer Vorstellung ist es in Deutschland nämlich verboten, den Theatersaal zu verlassen. Um die Aufmerksamkeit wieder auf das Bühnengeschehen zurück zu lenken, ließ die Intendantin eine Szene zu, in der ein Muslimhasser vorkommt, der einen muselmanischen Namen trägt. Weiterhin kommt eine Frau vor, deren Namen an einen Fluss ohne Wasser, aber dafür mit Gestein, Geröll und Gestrüpp erinnert, Herr Sarrazin und Frau Steinbach sind auf der Probebühne des Koalitionstheaters die Testkristallationskerne, ob es Wähler für Parteien gibt, die noch viel rechter von CDU und CSU stehen, als das Publikum es sich überhaupt vorstellen kann.

DaS kam so: Der Kapitän von Thilo Sarrazins sozialdemokratischem Heimathafen, Siegmar Gabriel, befand, Sarrazin müßte von seinem Liegeplatz vertrieben werden, damit der Hafen nicht boykottiert werde und langsam veröde. Sofort spekulierten die medialen Freibeuter auf den Meeren der Information, ob sich ein Sarrazin damit abfinden werde oder ob es dann zu einem Hafenneubau kommt. Bei N-TV hieß es in einem Beitrag: „Parteigründung liegt in der Luft“. Und wenn man sich die potentiellen Anhänger so anschaue, ohne die die radikalste Partei nichts weiter ist als der schlechte Atem des Gründers, dann könne man vermuten, dass bis zu 20 Prozent der Wähler sich für „Die Sarrazinen“ entscheiden würden. („Sarazene“ ist übrigens ein alter Ausdruck für „Araber“ und „Muslim“. Ich weise nur mal eben darauf hin, falls einem schon die ganze Zeit eine Anmerkung auf der Zunge kitzelt). Laut N-TV meinte ein Meinungsforscher, die neue rechte Partei könnte von Friedrich Merz, Wolfgang Clement, Thilos Sarrazin, Roland Koch oder Joachim Gauck geleitet werden. Das bestätigt meine Theorie. Ich sag jetzt nicht, welche. Als der künstliche Theaterdonner um TS abklang, warf Erika Steinbach noch ein paar Knallerbsen ins Spiel. Sie verließ ihren Platz im CDU-Oben und schmollte, weil sie gegen Polen kein dummes Zeug schwätzen darf. Ihr traut allederdings nicht mal der Meinungsforscher eine führende Rolle in der Partei zu, die alle erwarten, stillschweigend ersehnen beziehungsweise nicht als Gefahr ansehen. Denn die Wähler, die sie repräsentieren könnte, sind ja schon längst alle da. Thilos S. begab ich zur Buchlesung. Es war der Tag, an dem Kurt Westergaard den Preis für Meinungsfreiheit bekam, und zwar aus den Händen von Angela Merkel, welche eine Frau ist, die in Berlin beruflich zu tun hat. Kurt Westergaard ist der Däne von der Zeitung Jyllands Posten, der Karikaturen von Prophet Mohammed veröffentlicht hatte. Deswegen wollen ihn aufgebrachte Islam-Anhänger umbringen, und das findet die Frau aus Berlin mutig, so dass sie ihm den Preis verleiht. Sarrazin dazu: Demnächst werde er den Preis für sein Buch kriegen, und falls die Merkel dann noch amtiere, ebenfalls aus ihrer Hand. Gesehen und gehört. (Im Fernsehen) Vor ein paar Jahren hörte ich Leute sagen: „In Deutschland ist weit und breit kein Führer in Sicht, aber seine willigen Vollstrecker stehen schon in den Startlöchern“. Sarrazin, will Er ein Tänzchen wagen? So mag er‘s sagen, wir tanzen ihn müde, Er rührt uns nicht an.

Dieser Beitrag wurde unter Baron von Feder, Feuilleton-Zeitgeist veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.