Rezension: Die Apfelgräfin / Schlüsselbund

De Groten

1945 war ein Krieg vorbei, aber das Unrecht noch nicht. Denn es begannen zwei unterschiedliche Entwicklungen in Deutschland und jedes wähnte seine Angelegenheiten al rechtmäßige Angelegenheiten. In einem Teil war Recht, was im anderen Unrecht war, und daran zeigt sich: Es ging gar nicht um Recht, es ging nur um politisch-juristische Logik.

Die ihre Länder im Osten 1945 verloren, versuchten es nach 1989 wieder zurück zu erlangen. Die dort inzwischen 40 Jahre gelebt in gutem Glauben gelebt hatten, verloren das Land wieder. So begann sich das Existenzkarussell erneut zu drehen. Schnell und unbegreiflich schnelle dreht es sich. Manchen schießt es in schwindelnde Höhen , andere in den Abgrund, die Gosse oder ins Nichts.
Daisy Gräfin von Arnim schoss es samt Familie in die Uckermark zur landwirtschaftlichen Arbeit und zur Rückeroberung ehemals gräflichen Besitzes, der nach der Bodenreform in der DDR genossenschaftliches Eigentum statt Privatbesitz geworden war. Rührend sind die Textstellen, in denen Wohlgeboren vom Verhältnis der adligen Menschen zur Arbeit berichtet. Dann kommt man mitunter zu dem Eindruck, dass der Landadel auch nicht nur geprasst und gefeiert hat, sondern auf gehobener Managementebene ein landwirtschaftliches Gut bewirtschaftet oder verwaltet hat und sich so um Dorf und Leute kümmerte, bloss nicht genug, aber das macht ja jedes Management nicht genug. Nur eins habe ich nicht begriffen: Warum betont Durchlaucht so für meine Begriffe devot, dass die Uckermark auch die Heimat ist von einer Politiktätigen in Berlin, die in Templin aufwuchs?

De Lütten

Wer einmal aus dem Blechnapf frißt, der wird gezwungen, es immer wieder zu tun. Der kleine Mann wird immer klein gehalten, was nun? Als Wolf unter Wölfen leben? Soll jeder für sich allein sterben? Auch der Trinker? Es grummelt zwischen den großen Leuten und den kleinen Leuten, und manche fordern
bereits Bomben gegen die Bonzen.

Der gesamte Vorspann besteht nur aus Titeln von Hans Fallada, weil Fallada den kleinen Leuten Raum in der Literatur gab – wenigstens dort – und weil ein Buch von Sabine Lange sich mit Fallada beschäftigt. Ihr Buch heisst „Schlüsselbund“ und ist im Grunde genommen ein Buch über das  Schreiben eines Buches. Sabine Lange hatte als Archivarin beruflich mit dem Nachlass von Hans Fallada zu tun. Zettel sortieren, sichten, erfassen, ordnen – was eben ein Archivar so macht. Das Vorgehen hat Ähnlichkeit mit journalistischer Arbeit. Als würde ein Journalist die Spannung eines Textes aus der Beschreibung der Recherche holen und nicht aus der Vorlage der fertigen
Rechercheergebnisse. Manchmal ist ja auch das Segeln schöner als das Anlegen im Zielhafen. Oder wie in der Mathematik: Ein langer Berechnungsweg kann schöner sein als als das triviale Ergebnis x=3.
Was Fallada konnte, sollten alle Schriftsteller können: Ein Herz für die kleinen Leute haben. Erst recht, weil Ämter und Behörden für sie den Blechnapf für angemessen und zumutbar halten, während sie selbst Anspruch auf edles Prozellan erheben. Die schönste Lehre ist die: Niemand wird größer, indem er sich mit den Mächtigen arrangiert.

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