Rezension: „Lauter Widerworte“

Montag, 06. November 2011

Rezension „Lauter Widerworte“

Hannes Nagel

 

Manfred Bissingers Beitrag zur Zeitgeschichte

 

Angenommen, ein kleiner Hungerleider aus der Publizistenzunft würde die schönsten seiner Texte sammeln und im Selbstverlag als Beitrag aus 50 Jahren Berufstätigkeit herausgeben. Weil er ja ein Hungerleider ist, würde es sich hauptsächlich um nie in Mainstreammedien veröffentlichte Texte handeln. Vielleicht schriebe der kleine Hungerleider noch ein kluges aktuelles Vorwort dazu. Das Wort „Zeitgeist“ dürfte dann nicht fehlen, denn es wird im Moment wieder schick, nach ihm zu suchen oder zu berichten, wo man ihn gesehen hat. Was würde passieren?

Wer, glauben Sie, würde nach Hungerleiders Buch greifen? Wer, glauben Sie, würde das Buch rezensieren? Was, glauben Sie, wurde die Redaktion von Kulturzeit machen, wenn der Hungerleider ihr das Buch schickt und erklärt, für ein Interview in einer der nächsten Sendungen zur Verfügung zu stehen?

Vermutlich würde sich die 50 jährige Berufserfahrung des Hungerleiders wiederholen.

Wenn nun aber zeitgleich ein ehemaliger Chefredakteur, ein „namhafter Journalist“, wie man in der Branche sagt, dasselbe tut? Wenn der berühmte Kollege seine „Essays, Reportagen, Kommentare aus fünf Jahrzehnten“ in einem Zweitaufguss publiziert und dem Ding den Titel „Lauter Widerworte“ verpasst? Dann handelt es sich um ein Buch von Manfred Bissinger, und es erschien im Verlag „Hofmann und Campe. (www.hoca.de). Die 50jährige Berufserfahrung würde sich ebenfalls wiederholen.

 

Manfred Bissingers Buch ist ein Beitrag zur Zeitgeschichte, Abteilung Journalismus, Sektion Themengeschichte. Im Laufe eines halben Jahrhunderts gibt es Themen, die immer wieder gleich sind, wie die Frage: Was würden Sie wählen, wenn Sonntag Wahlen wären, und wenn dann gewählt wurde, spricht der Fraktionschef von A für das Ergebnis von B, der sich von C abgrenzen will, so das es am Ende eine Kanzlertroika geben müsste. Frage-und Antwortstrukturen bleiben gleich, nur ein paar unwichtige Details werden ausgetauscht. Das sind Personen, Slogans, Mainstreaminhalte.

 

50 Jahre immer das dasselbe in neuem Gewand? Wirklich? Nein, etwas hat sich doch verändert. Die Frechheit und der Biss sind irgendwo untergegangen. Stattdessen macht sich Servilität breit. Das trifft auch auf den späten Bissinger zu. Wenn das mal einer aus der Forschung belegen will, ist Bissingers Buch als Lektüre empfehlenswert.

Manfred Bissinger, Lauter Widerworte“, Hofmann und Campe, Hamburg 2011 etwa 25 Euro

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