FEUILLETON KULTURBETRIEBLICHES
Ein Kenner, welcher ringelnatzt
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Wertgeschätzte Kunst lässt es zu, dass Stehgreifdichter wie Bahnhofsspatzen mang den Gästen einer Kneipe auftreten und mit situationsgegebenen Versen amüsierte Gäste spendabel machen. Im Idealfall gibt es für den Künstler Bierchen und Bulette. Ein Herr Ringelnatz aus Wurzen, der sich mit konstanter Bosheit weigerte, auf Wurzen irgendwelche Reime zu machen, hat sich seinerzeit auch als Kneipenstehgreifdichter betätigt. Er tat dieses in der von Kathi Kobus betriebenen münchner Künstlerkneipe Simplizissimus. Ringelnatzverse kann man noch heute bestaunen, wenn man Bücher aufschlägt, zwischen deren Deckeln sie gebunden sind. Oder der Schaupieler Dietmar Lahaine begibt sich mang das Publikum im Antiquariat im Speicher in Neustrelitz, macht sich äußerlich mit Halstuch und Pullover ringelnatzähnlich und rezitiert Gedichte. Einige hat er selbst vertont. Er trug zur Gitarre einen zeitlos schönen Blues aus dem Ringelnatzgedicht vom Bumerang vor – herrlich. Da vermischen sich alte und neue zeiten und lassen das jeweils nervige weg. Und Nerviges hatten die 20er und 30er Jahre genau wie die Gegenwart mit ihren Sorgen und Ängsten. Wenigstens brauchte Ringelnatz, als er 1934 die letzte Kneipentür hinter sich schloß, nicht mehr das Grauen von 1939 bis 45 zu erleben. Dietmar Lahaine erwies sich als ein Ringelnatzkenner, der so gut ringelnatzen kann, das man leicht vergisst, dass Ringelnatz und Lahaine nicht dieselben Personen sind.
Übrigens kamen so viele Menschen in den Speicher, dass sie nicht alle reinpassten. Einige mussten draußen bleiben, wurden aber von Horst Conradt von der Kachelofenfabrik und auch von Dietmar Lahaine vertröstet, denn schon im Juni wird der Ringelnatzabend in der Kachelofenfabrik wiederholt.